Die wundersame Yurt-Tasche und ich
Es gibt so ein seltsames Gefühl der großen Freude, aber auch der leichten Traurigkeit, das dich übermannt, wenn du was Geliebtes beendest, an dem du über 250 Stunden tagе- und nächtelang gearbeitet hast. Vergleichbar mit dem Gefühl ein schönes Buch zu Ende zu lesen – bei der letzten Seite verspürst du, wie du bereits den Prozess des Lesens vermisst. So ist es auch mit dieser historischen Yurt-Tasche – gefilzt, geschneidert, genäht, bestickt, bewebt von meinen zwei Händen. Am Arbeitsfinale setzte ich für das Bild das Rosentuch meiner Oma auf – wenn schon, dann schon Tradition.
Die kleinen Häkchen, die man obendrauf auf der Tasche sieht, symbolisieren die Generationen in einer Familie.
Ich habe das große Glück, unglaubliche Menschen und Kreativ-Kreise auf meinem Weg zu treffen und beizuwohnen. Unter der Anleitung der Zauberin Annemie Koenen, in einem Kreis von Frauen aus Amerika, Holland und Deutschland erschuf ich eine der Arbeiten meines Lebens. Unvergessen bleiben mir die Abende, verbracht in gemeinsamer Arbeit – zwar vor dem Computer, aber so heimelig, als ob alle beisammen in einem Zimmer säßen.
Die Wolle färbte ich in der Farbe des Feuers. Damit die magische Figur der Stickerei aus Samokov (Bulgarien) ihre Flügel schwingen und einer Feuertänzerin gleich über die Glut schweben kann.
Die Yurt-Tasche ist traditionell für Kirgistan und die Nomadenvölker. In den Stickereien dort wird ein Kreis-Symbol eingearbeitet, als ein Tor für die Seele, das ihr die Freiheit der Bewegung schenkt. Dafür habe ich die Rose gestickt – damit die Seele durch ein Blumentor spazieren gehen und immer wieder zurückkehren kann.
Die kleinen Pünktchen sind aus Seide und verbinden die gefilzte Wolle mit dem Futter der Tasche. Und die Ziegenböcke, die auf ihren gebogenen Hörnern die Welt stützen, sind die kirgisische Seite meiner Tasche. Ich verliebte mich in die wunderbare Stickerei von Kalipa Asapakova, als Annemie Koenen uns diese Werk von ihr zeigte. Ich liebe die Frische der Zweige und den grünen Kreis, der so heilend und fest die Erde in Umarmung hält.
Das Umnähen aller Kanten der Yurt-Tasche habe ich mit dem für Kirgistan traditionellen Tshiraji Stich gemacht. Er ist schwer für die Finger, aber so wohltuend für die Augen. Damit Nadel und Faden durchgehen, braucht man schon mal die Zange.
Auf dem Riemen und den Seiten der Tasche habe ich mit Wolle und Seide Blätter, Äpfel, Spiralen der Unendlichkeit und Widderhörner gestickt. Über alles geliebt wird mir der Kabul-weaving bleiben. Mittels Webkamm und Nadel bekam die Klappe der Tasche ihren hübschen gewebten Rand.
Und hier ist die Rückseite der Tasche. Traditionell hing sie in der Jurte und diente der Aufbewahrung verschiedener Habseligkeiten und Kleidung der Familie. Sie trug zur Gemütlichkeit im Haus bei und hierfür schmückten sie die Frauen üppig mit Stickereien.
Und warum brauche ich so eine Yurt-Tasche? Na, weil ich ja auch eine Jurte besitze – genau wie diese! Macht nichts, dass ich bis jetzt nichts gesagt und gezeigt habe (nur wenigen Freunden, und das unter Verschluss halten:)) „Bulgarische Jurten“, danke für das Geheimnis, das wir miteinander teilen :)). Mein Geheimnis ist für eine Ausstellung bestimmt. Darum wird es geduldig auf den Rädern im Keller warten, dass die guten Tage kommen. Und, wenn der Himmel will, wird es im Juli die schöne Filzerwelt und die Seiten mit meinen Erzählungen besuchen dürfen.
Diese Tasche ist mir doppelt so kostbar, weil sie in sich eine schmunzelig-zarte Erinnerung trägt. Wie Opa Packungen Salz, Backpulver und Pudding bunkerte – seine Vorräte an Lebensmitteln „damit wir immer genug im Haus haben“ 🙂 Und Oma im Gegenzug in mehreren Schachteln Nadeln und Stickfäden für uns häufte und aufbewahrte. „Sollt nur Lust zum Sticken haben. Die Fäden sind schon mal da und warten auf eure Hände.“, sagte sie. Die Yurt-Tasche habe ich mit diesen Fäden bestickt.
Siehst du mich aus der Weite, Oma? Dein Tuch steht mir gut. Mit Rosen, mit einem Blumentor, durch den sich unsere verwandten Seelen treffen können.